Kickplan Campus

Wissen rund um den Kinderfußball

Wissenschaftlicher Blick auf "Playstation-Trainer"

Verhindern zu viele Instruktionen die optimale Ausbildung von Straßenfussballern und Unterschiedsspielern?

Um was geht's? 

An Spieltagen oder im Trainingsalltag im Kinderfussball herrscht meist ein hoher Lärmpegel. Bei genauem Betrachten fällt auf, dass dieser gar nicht unbedingt von den Kindern ausgeht, sondern oftmals von den TrainerInnen. Sie nehmen nach wie vor eine sehr präsente Rolle im Lehr-Lern-Prozess ein und sehen sich noch immer häufig als Hauptdarstellende. Es scheint so, als würden sie die Kinder am liebsten – wie in einem Videospiel – steuern und ihnen die Lösungen für Probleme auf dem Spielfeld vorgeben. 

TrainerInnen meinen dieses Verhalten keinesfalls negativ. Im Grunde wollen sie den Kindern auf dem Spielfeld nur helfen. Doch führt dieses nur gut gemeinte Verhalten auch zu einer förderlichen, fußballerischen Entwicklung oder steht es dieser im Weg? Bekannte Kindertrainer und Sportwissenschaftler benennen das festgestellte Verhalten als Problem. Sie sind der Auffassung, dass die Flut an Instruktionen einer optimalen fußballerischen Entwicklung im Weg steht und auch dazu führt, dass das Spielen in offensiven 1-gegen-1 Situationen nur noch sehr begrenzt trainiert wird. 

Dies rührt daher, dass die Kinder ständig dazu angeleitet werden, den Ball zu spielen, anstatt mit ihm zu dribbeln. In der Literatur konnten jedoch keine quantifizierten Ergebnisse festgestellt werden, welche die bestehenden Aussagen belegen. Es handelt sich somit um Experten- und Erfahrungswissen. Folglich befasst sich vorliegende Untersuchung mit der Quantifizierung von offensiven Aktions-Variablen unter dem Einfluss des impliziten und expliziten Trainerverhaltens, um die Aussagen zu bestätigen oder zu widerlegen. 

Die Untersuchung

Die Untersuchung folgte einem methodischen Aufbau. In der Spielform 4-gegen-4 auf jeweils zwei Minitore wurden unter den Regeln des FUNino´s drei Spiele beider Bedingungen durchgeführt. Die Gesamtspielzeit für jede Bedingung betrug 36 Minuten. Das implizite Trainerverhalten meint hierbei das „freie Spielenlassen“ der Kinder. Der explizite Ansatz hingegen bezieht sich auf begleitendes Coaching anhand standardisierter Coachingpunkte. Durch eine Stichprobe von 36 Kinder der Jahrgänge 2007 bis 2011 wurden die beiden Bedingungen auf relevante Aktions-Variablen des Kinderfußballs untersucht. Die Stichprobe ist dem Amateurfußball zuzuordnen. Eine Videoaufzeichnung mit zwei Kameras ermöglichte im Anschluss die Auswertung und die statistische Aufbereitung mit gängigen wissenschaftlichen Verfahren. 

Die Untersuchung zeigt signifikante Ergebnisse hinsichtlich der ausgeführten Dribblings. Bei implizitem Trainerverhalten wurden signifikant mehr Dribblings von den Kindern ausgeführt. Eine Anleitung der Kinder, den Ball zu spielen, anstatt mit ihm zu dribbeln, führt damit tatsächlich zu weniger Dribbling-Lerngelegenheiten. 

Andere Aktions-Variablen weisen keine signifikanten Ergebnisse aus. Dies erfordert eine Interpretation im Konjunktiv im Sinne von erkennbaren Tendenzen. Es ist auffallend, dass die Passquote bei explizitem Trainerverhalten niedriger liegt. Dieses Ergebnis könnte darauf hindeuten, dass durch die Instruktionen die Aufmerksamkeit der Kinder gebunden wird und es infolgedessen zu schlechteren taktischen und technischen Entscheidungen kommt. Die Wahrnehmung erfordert Aufmerksamkeitsressourcen, welche nachweislich durch Instruktionen gebunden werden.

Mehr Abschlüsse hingegen wurden - trotz entsprechender Coachingpunkte bei explizitem Trainerverhalten - unter implizitem Trainerverhalten ausgeführt. Dies könnte darauf hindeuten, dass Abschlussmöglichkeiten unter impliziter Bedingung besser wahrgenommen werden. Eine höhere Anzahl an Toren erzielten die Kinder bei explizitem Trainerverhalten. Man könnte annehmen, dass die Coachingpunkte hinsichtlich Bewegung und Tiefe im Spiel den Kindern dabei geholfen haben, in aussichtsreichere Abschlusspositionen zu gelangen und somit die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs erhöhten. Diese Tendenz würde sich mit weiteren Beobachtungen decken. 
Es ist zu vermuten, dass es bei implizitem Trainerverhalten zu einer geringeren Laufleistung kommt als bei explizitem Trainerverhalten. Weiterhin konnte beobachtet werden, dass in Spielen unter impliziter Bedingung eine nicht vorhandene Tiefe im Spiel existiert. Bei der Reflexion aller aufgeführten Ergebnisse und Tendenzen stellt sich die berechtigte Frage: Wie coache ich als Kindertrainer*in nun richtig?

Hinsichtlich bestehendem Experten- und Erfahrungswissen, ergänzt durch quantifizierte Ergebnisse dieser Untersuchung, kann festgehalten werden, dass den Kindern die Rolle als Hauptdarsteller des Lehr-Lern-Prozesses zukommen sollte. Dies meint, dass der Großteil an Spielformen im Trainingsalltag und an Spieltagen aus dem „freien Spielenlassen“ bestehen sollte. Dadurch kann den Kindern ermöglicht werden, selbstständig bestehende Probleme im Sinne der Spielintelligenz zu lösen. Auch kann es dazu führen, dass das Spielen in offensiven 1-gegen-1 Situationen wieder vermehrt geübt wird und infolgedessen mehr Straßenfußballer und Unterschiedsspieler ausgebildet werden können, welche sich beispielsweise durch ein besonders gutes Verhalten in genau diesen Aktionen auszeichnen. Auch hier gilt „Übung macht den Meister“. 

Der implizite Ansatz kann durch den aus der Lernpsychologie bekannten fragend-entwickelnden Ansatz ergänzt werden. Fragen ermöglichen Trainer*innen, Lernende als aktive Akteure des Lehr-Lern-Prozesses wahrzunehmen und dennoch Einfluss auf diesen zu nehmen. Dies ermöglicht nachweislich die Speicherung von Wissen im Langzeitgedächtnis. Es empfehlen sich hierbei offene Fragen, welche zum Denken anregen. Vor allem auf die bekannten W-Fragen kann diesbezüglich zurückgegriffen werden. 

Die Untersuchung ist kein Plädoyer für den impliziten Ansatz und für das Dribbling als Allheilmittel, aber sie ist ein Plädoyer dafür, Kinder zumeist selbstständig die beste Lösung für eine Spielsituation erkunden zu lassen und ihnen dabei situativ als Helfer beizustehen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Dribbeln an sich, als wichtige Fähigkeit für das Lösen von Spielsituationen, signifikant mehr im „freien Spielenlassen“ trainiert wird. Abschließend ist noch einmal - im Sinne des Modells der Spielintelligenz - hervorzuheben, dass Instruktionen die erste Phase - die Wahrnehmung - zumeist negativ beeinflussen und somit entscheidend für die weiteren Phasen sind. Meist mündet dies in einer fehlerhaften taktischen und technischen Ausführung. Sich darüber als Kindertrainer*in bewusst zu sein, kann als wichtige Fähigkeit im Trainings- und Spielalltag angesehen werden.  
Initial veröffentlicht: 25.08.2022 | Zuletzt aktualisiert: 25.08.2022

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