Hintergrund
Durch die seit vielen Jahren andauernde Debatte um neue Spielformate, vor dem Hintergrund der ausbildungsschädlichen Wirkung des im Kinder- und Jugendfussballs herkömmlichen 7v7, rückte das sogenannte Funino ins Zentrum der Überlegungen (Lochmann, 2018; Wein, 2016). Dieses Spielformat im 3v3 auf jeweils zwei Minitore weist wissenschaftlich relevante Vorteile auf. So erhöht sich nicht nur die Ballwiederholungszahl, welche als Güte des Spiels verstanden werden kann, sondern auch das divergente Denken vor dem Hintergrund zweier möglicher Ziele wird gefördert (Caso & van der Kamp, 2020; Fengolio, 2004; Lochmann, 2018; Wein, 2016).
Gerade in den jüngsten Altersklassen ist das Konstrukt der Spielfähigkeit als wichtiges Ausbildungsziel von Bedeutung (Drobisch & Stratmann, 2021). Diese versteht sich als Fähigkeit, verschiedene und sich ständig verändernde Spielsituationen unter dem Druck des Gegners lösen zu können. Neben grundlegenden koordinativen und technischen Fähigkeiten setzt sie sich vor allem aus der Spielkreativität und Spielintelligenz zusammen. Die Spielkreativität definiert sich durch die Fähigkeit, Situationen anhand überraschender, kreativer oder auch origineller Aktionen zu lösen. Anders als bei der Spielkreativität geht es bei der Spielintelligenz darum, die effizienteste Lösung im Sinne hoher Erfolgschancen auszuwählen (Memmert & König, 2011).
Die zwei benannten Kompetenzbereiche des situativ-individuellen Problemlöseverhaltens können auch als Individualtaktik, der Taktik mit dem geringsten Komplexitätsgrades im Sportspiel, bezeichnet werden (König & Memmert, 2019). Sie ist Teil des übergeordneten Begriffs der Taktik, welche sich als Auswahl und Realisierung von Spielhandlungen auf verschiedenen Ebenen versteht (Roth, 1989). Folglich zielt die Taktik im Allgemeinen und die Individualtaktik im Speziellen darauf ab, situationsangemessene Entscheidungen zu treffen (König & Memmert, 2019). Vor allem die Spielkreativität, als Basis der Spielintelligenz, rückt ins Zentrum vorliegender Arbeit (Memmert & Roth, 2007). Ihr grundsätzliches Konstrukt basiert auf der divergenten Denk- und Handlungsfähigkeit (Baudson, 2011; Krampen, 2019). Auch dadurch, dass Entscheidungen im Ballsportspiel und somit im Fussball eine hohe Relevanz besitzen, ist der Ansatz des Funinos wertvoll. Es fordert und fördert die Spielkreativität, da Handlungsoptionen maximiert werden. Somit bestehen neue Möglichkeiten der Optionsgenerierung und der Optionsauswahl, welche als kognitive Teilprozesse von Entscheidungen gelten (Musculus, 2018; Wein, 2016).
In Bezug auf das Spielformat Funino muss jedoch angemerkt werden, dass die vertikale Spielrichtung zwar durch zwei divergent angeordnete Ziele in der Horizontalen unterteilt wird, die Spielrichtung, und zwar die Vertikale, aber unverändert bleibt. Weiterhin existiert durch das Vorhandensein von drei Spielern und nur zwei Zielen die Möglichkeit, diese als verteidigende Mannschaft zuzustellen. Folglich könnte argumentiert werden, dass hierunter die Dynamik des Spiels leidet. Betrachtet man diese Annahme spezifischer, so lässt sich eine typische Spielsituation als Beispiel heranziehen. Dribbelt ein Spieler im Funino in einem 2v1 zentral auf die gegnerischen Ziele zu, besitzt er grundsätzlich zwei Optionen. Option A besteht darin, sich für den Dribbling-Weg zu entscheiden. Dies setzt voraus, dass der verteidigende Spieler den Passweg zustellt. Option B besteht darin, sich für den Passweg zu entscheiden. Dies wiederum setzt voraus, dass der verteidigende Spieler den Dribbling-Weg zustellt. Schwieriger gestaltet sich eine offensive 2v2 Situation, in welcher ein Spieler wieder zentral auf die gegnerischen Ziele zu dribbelt. Stellt nun der verteidigende Spieler geschickt den Passweg zu, bleibt nur die Option des Dribblings in einem 1v1. Eine bis zu diesem Zeitpunkt weniger beachtete individualtaktische Handlungsoption, das sogenannte Abdrehen, um den Ballbesitz individuell zu sichern, erscheint für viele aufgrund der Minimierung schneller Erfolgserlebnisse nicht erstrebenswert. Die Optionsgenerierung wird somit eingeschränkt und die Optionsauswahl, vor dem Hintergrund einer vordefinierten Spielrichtung, weitestgehend vorgegeben. Somit könnte vermutet werden, dass die Spielkreativität, aufgrund der Beschränkung an Möglichkeiten, leidet.
Da das Konstrukt der Kreativität, wie zu einem früheren Zeitpunkt vorliegender Arbeit bereits thematisiert, auf der divergenten Denk- und Handlungsfähigkeit basiert, erscheint es erstrebenswert das Verständnis divergenten Denkens auf die Konzeption von Spielformen zu übertragen. Spielformen, die also in ihren Grundzügen unsystematisch und frei von herkömmlichen Spielrichtungen gestaltet sind, eine Vielzahl an divergenten Zielen ermöglichen und dabei per Definition offene Problemstellungen und offene Endzustände enthalten (Krampen, 2019). Damit scheint es möglich, der individualtaktischen Handlungsoption des Abdrehens eine neue Reizsetzung zu verleihen, da jede Aktion dieser Form automatisch mit einem Umschaltmoment für den angreifenden und verteidigenden Spieler gekoppelt ist. Das Nichtvorhandensein einer vordefinierten Spielrichtung und das Vorhandensein divergenter Ziele könnten dazu führen, dass Spieler auf individualtaktischer Ebene, aufgrund der Maximierung an Handlungsoptionen, mehr situationsangemessene Entscheidungen treffen müssen. Hierdurch wären sie gefordert, häufiger kreativ zu werden. So lässt sich für vorliegende Untersuchung annehmen, dass divergente Spielformen die Anzahl an Entscheidungen wie Umschaltmomente, Dribblings und Pässe erhöhen und gleichzeitig zu mehr Erfolgserlebnissen führen. Ableitend dieser Annahme soll der Fragestellung nachgegangen werden, in welcher Spielform mehr individualtaktische Entscheidungen, operationalisiert durch genannte Aktions-Variablen, getroffen und mehr Erfolgserlebnisse erzielt werden. Gleichzeitig soll die Wirkung der Pässe, im Sinne der Erfolgsquote, Gegenstand der Untersuchung sein. Hierzu folgt ein quantitativer Vergleich der divergenten Spielform 3v3 mit fünf divergenten Zielen und der Spielform Funino.