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Juniorenfußball in den Niederlanden - Interview mit Carlo Kastermans

Die Niederlande sind bekannt für eine gute Nachwuchsarbeit. Worauf im Juniorenfußball wertgelegt wird, welche Trainingsgrundsätze gelten und welche Spielformen am Wochenende gespielt werden, erzählt uns Carlo Kastermans, ausbildender Trainer für die FC Twente/Heracles Academie und die Trainingsplattform VTON, in einem Interview.

Thomas: Carlo, wie sieht die niederländische Trainingsphilosophie im Kinderfußball aus?

Carlo Kastermans: Thomas, da ist natürlich viel los im heutigen Fußball und es gibt verschiedene Philosophien. Der niederländische Fußballverband KNVB empfiehlt, dass Kinder vor allem Fußball spielen sollen, um alle Fähigkeiten gleichmäßig zu entwickeln. Dagegen gibt es häufig Widerstand von Vereinen und Trainern, die viel Wert auf Techniktraining legen. Viele Vereine trainieren anders, als es sich der KNVB wünscht.
Thomas: Welche Trainingsgrundsätze sind den Vereinen wichtig?

Carlo Kastermans:  Für die Amateur- und Profivereine stehen im Kinderfußball drei Hauptthemen im Mittelpunkt: 
1. Technik
2. Kreativität
3. Altersgerechte Spielerentwicklung

Im Kindesalter sollen die Spieler viele Fähigkeiten im 1 gegen 1 entwickeln. Die Profivereine beginnen meistens ab U12-U13 mit der Förderung. Darum gibt es auch viele Fußballschulen in den Niederlanden, die extra Techniktraining anbieten. 8-10mal 75-90 Minuten nur Technikformen. Sehr populär ist die Wiel-Coerver-Methode.
Einschub der Redaktion: Wiel Coerver (1924-2011) war ein bekannter niederländischer Fußballspieler und Trainer. Wegen seiner fortschrittlichen Trainingsmethoden gilt er über seine Zeit hinaus als einer der wegweisenden Fußballlehrer und entwickelte die nach ihm benannte Coerver-Methode. Sie unterteilt die Grundaspekte des Fußballs in sechs Stufen und basiert im Fundament (erste Stufe) auf einer exzellenten Ballbeherrschung als Grundlage aller Fußballtechniken. Die weiteren fünf Stufen sind Passen/Ballannahme, 1 gegen 1, Schnelligkeit, Torabschluss und Gruppenspiel. Dabei werden die Stufen überwiegend durch explizites Lernen mit vorgeplanten Bewegungsmustern systematisch erarbeitet und vom Coach korrigiert.
Thomas: Wie entwickeln sich die Trainingsinhalte?

Carlo Kastermans: Anders als der Verband bevorzugen Amateurvereine und Profivereine fußballtechnische Inhalte. Technikformen werden in jedem Training durchgeführt, aber wir spielen auch immer ein Abschlussspiel. Ausdauer trainieren wir gar nicht, weil Kinder das in diesem Alter nicht brauchen. Einfache Spielstrategien kommen ab der U10 hinzu. Bis 13-15 Jahre fördern wir nur die sportliche Entwicklung und Technik, keine spezifische Position. Danach beurteilen wir das Talent des Spielers und versuchen, ihn individuell weiterzuentwickeln, damit er ein Spezialist für eine bestimmte Linie oder Position wird. Das macht durchaus Spaß, denn was man gut kann, erzeugt Freude und Selbstbewusstsein.
Thomas: Wie unterstützt ihr mit der Plattform VTON die Spieler und Vereine?

Carlo Kastermans: Wir arbeiten zusammen mit Profivereinen, die Amateurvereine als Partner haben. Zum Beispiel sind das in meiner Region der FC Twente Enschede und Heracles Almelo. Insgesamt haben die beiden Profivereine über 65 Amateurpartnervereine. Alle Vereine und Jugendtrainer erhalten von uns Zugang zur VTON-Plattform. Wir bieten eine gemeinsame Ausbildung für alle Jugendtrainer. Es ist für jeden ein Gewinn: eine Qualitätsteigerung für Amateurvereine und eine Verbindung mit Profivereinen. Wir befinden uns im Moment auch in Gesprächen mit einigen deutschen Profivereinen, um diese Philosophie zu übertragen. Die Plattform hat für jeden Trainer einen Mehrwert und bietet ein komplettes Curriculum für jedes Alter und eine ganze Saison. Mit VTON kann der Trainer selbst Trainingseinheiten planen oder Übungen für jedes Ziel in der Database suchen. Natürlich ist auch eine  Spielerstatistik möglich. Kinder können zuhause Technikvideos ansehen, die mit ihnen in der nächsten Trainingseinheit erarbeitet werden.
Thomas: Wie würdest du die Ausbildungsmethodik in den Niederlanden kurz zusammenfassen?

Carlo Kastermans: Technik ist das Wichtigste. Sie bedeutet Kontrolle in jeder Situation. Alles andere können die Kinder später noch lernen. Breit ausbilden und nicht nur die Talente von heute im Blick haben - diese Überzeugung setzt sich hier zunehmend durch.
Thomas: Welche Spielformen werden im Juniorenfußball in den Niederlanden gespielt?

Carlo Kastermans: Die Spielformen am Wochenende seht ihr in der beigefügten Grafik. So spielen wir am Spieltag im jeweiligen Alter. Die Kleinsten beginnen im 2 gegen 2. Mit zunehmendem Alter vergrößern wir die Spielformen über das 4 gegen 4 und 6 gegen 6 bis zum 8 gegen 8. Entwickeln und Spaß stehen im Vordergrund. Im jüngsten Bereich gibt es keinen Endstand und keine Liste mit Gewinnern.
Nähere Infos zur VTON-Plattform findet ihr auf der Website und die VTON-Trainer-App wird in diesem Video vorgestellt:
Initial veröffentlicht: 31.07.2023 | Zuletzt aktualisiert: 31.07.2023

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